normal ist richtig ist gut

In den Beiträgen auf dieser Seite möchte ich mich ernsthafteren Themen widmen als sonst und sowohl meine Erfahrungen als auch meine Ansichten und Kenntnisse einfließen lassen. Ich bin in meinem Leben einigen Irrtümern begegnet und selbst einigen aufgesessen, sowohl in der Warhnehmung, als auch in Überzeugungen oder Ansichten.

Ich habe mich lange und ausführlich mit den Irrungen und Wirrungen des menschlichen Geistes beschäftigt um meine eigenen ein wenig in den Griff zu bekommen. Dies will ich auf dieser Seite ausführen.

Den Beginn mache ich mit dem landäufigen Irrtum, normal und richtig zu verwechseln. Und obendrein das ganze noch mit gut oder schlecht zu belegen. Mein Ziel ist es, zumindest grob zu umreissen, warum wir häufig dem Irrtum aufsitzen, was die Masse tut sei das richtige und wieso wir uns schlecht fühlen, wenn wir zwar richtig handeln, dies aber der Masse widerspricht.

Ich muss ein wenig ausführlich beginnen und dazu weiter ausholen. Um meinen Standpunkt zu verdeutlichen beginne ich mit einem kurzen Exkurs in die Experimental-Psychologie. In verschiedenen Psychologiestudiengängen an verschiedenen Universitäten wurden mit unterschiedlichen Zielsetzungen Experimente durchgeführt, die die Wahrnehmung des Einzelnen gegen die Wahrnehmung seiner Gruppe stellen.

Das Experiment

Der häufigste Versuchsaufbau ist das Erkennen von Unterschieden. Aufgrund meiner persönlichen Vorliebe nehme ich als Beispiel Paul Watzlawick. In seinem Buch „Wie wirklich ist die Wirklichkeit?“ beschreibt er auf den Seiten 92 ff im Kapitel „Die Macht der Gruppe“ den Versuch des Psychologen Asch, der auf zwei Tafeln basiert. Tafel Nr. 1 zeigt eine Linie, Tafel Nr. 2 zeigt drei Linien. Die Gruppe muss nun diejenige Linie auf Tafel 2 benennen, die genauso lang ist, wie die Linie auf Tafel 1.

Zu Anfang handelt es sich um einen normalen, von den Studenten als langweilig empfundenen Wahrnehmungsversuch. Jedoch beginnt die Gruppe nach dem dritten Durchgang, unerwartet anders zu entscheiden, als die Tafeln es hergeben. Die Gruppe wurde instruiert, absichtlich falsche Antworten zu geben. Allerdings ist jeweils ein Student pro Gruppe nicht eingeweiht und somit das tatsächliche Versuchssubjekt.

Die Ergebnisse

Der Versuch hat ergeben, das nahezu jeder der Probanden an seiner Wahrnehmung zu zweifeln beginnt und über ein Drittel (36,8 %) sich sogar wider besseres Wissen der Gruppenmeinung anschließen. Nahezu alle Teilnehmer hegen Zweifel an ihrer eigenen Wahrnehmung und fühlen sich unwohl und sogar falsch. Wie erwähnt geben sogar fast 37% absichtlich eine falsche Antwort um die Harmonie mit der Gruppe zu wahren.

Paul Watzlawick zieht Schlußfolgerungen für den Patienten im Kreis seiner Familie. Bei Interesse sollten seine Schlüsse auch in seinem Buch nachgelesen werden. Ich möchte in eine ganz andere Richtung gehen.

Wie Asch in seinen Versuchen bewiesen hat und viele andere Psychologen nach ihm bestätigten, sitzt im Menschen ein tiefverwurzeltes Bedürfnis nach Harmonie in der Gruppe. Sei es die Familie, der Kreis der Arbeitskollegen, die Fankurve, die Öffentlichkeit. All diese Gruppen haben einen Kodex, sie vermitteln ihre Sicht der Wirklichkeit und handeln nach ihren Werten. Hier gibt es übrigens oftmals eine arge Diskrepanz zwischen den propagierten und den gelebten Werten. Mehr hierzu möchte ich gerne in einem der nächsten Beiträge „Firmengrundsätze – viva la revolucion“ ausführen.

Die Gruppe vermittelt ein Bild. Dieses Bild ist der Hintergrund für jeden von uns und gibt uns vor, wo wir uns wie bewegen. Dieses Bild erklärt unsere Wahrnehmung. Die Gruppe zeigt uns richtig und falsch, sie gibt die Maximen aus, nach denen wir uns zu richten haben. Allerdings gibt es hier krasse Unterschiede zwischen den Wahrnehmungen.

Richtig und falsch haben mit der Gruppe wenig zu tun. Aufgrund der notwendigen Eingliederung in Gruppen, die als Säugling beim Schutz durch die Familie beginnt, müssen wir uns den Gruppenregeln beugen, damit wir nicht allein und schutzlos dastehen. Ungeachtet unser eigenen Überzeugungen und Wahrnehmungen vertreten wir also die Gruppenmeinung. Stimmt sie mit uns überein, dann fühlen wir uns wohl, alles ist gut.

Die Gruppe und wir

Stimmt unsere Wahrnehmung allerdings nicht mit der Gruppe überein, beginnen wir (siehe oben) uns unwohl zu fühlen und zu zweifeln und mißtrauen sowohl uns als auch der Gruppe. Beginnt diese „falsche“ Wahrnehmung bereits in Kindertagen und die Eltern bemühen sich, das Kind wieder auf die rechte Bahn zu lenken, so werden die Wurzeln für eine handfeste Depression und mannigfaltige Neurosen gelegt. Das Kind ist falsch. Es zweifelt an seinen Wahrnehmungen. Es ist nicht gut. Es ist nicht normal.

Hier beginnt ganz früh die Vermischung der Begriffe normal und richtig. Dabei haben sie überhaupt nichts miteinander zu tun. Aber dazu gleich. Das einzelne Gruppenmitglied steht aufgrund seiner abweichenden Wahrnehmung nicht nur alleine da, es wendet sich quasi gegen die Gruppe und wird somit ausgeschlossen oder ist Bemühungen ausgesetzt, das verlorene Schaf zurück in die Herde zu führen. Es wird korrigiert, es findet eine Gehirnwäsche statt, die dennoch einen tiefen Zweifel hinterlässt.

Der so misshandelte Mensch weiß, dass er das richtige denkt, weiß, dass er richtig wahrnimmt, aber die Gruppe denkt, fühlt, redet anders. Er ist verkehrt, krank, verdreht. Jetzt gibt es nur die Möglichkeiten, an der Gruppe zu zweifeln, was eine große Stärke benötigt oder sich zu fügen und an sich selbst zu zweifeln. Denn schließlich ist man nicht normal, man weicht von der Gruppe ab. Man ist nicht normal und daher nicht richtig.

Der Delinquent fühlt sich also falsch und entwickelt diverse psychische Störungen. Dabei ist nicht selten dieser Mensch tatsächlich richtig! Er hat Recht, seine Wahrnehmung entsprechen (so weit dies möglich ist) den richtigen Werten und der Realität.

Allerdings wurden wir vielfach so erzogen, dass normal richtig ist und unnormal falsch. Dabei besagen richtig und falsch eine moralische Wertung (bzw. geben die Korrektheit wieder) und normal oder unnormal bezeichnen lediglich Mehrheit oder Minderheit.

Demokratie

Normal heißt im Wortsinne der Norm entsprechend. Die Norm ist die Mehrheit. Alles, was zahlenmäßig überwiegt ist normal. Die Norm ist also stetem Wandel unterworfen. Richtig und Falsch hingegen muss jeder für sich selbst bestimmen. Es gibt eine gemeinsame Grundlage von richtig und falsch, das Gesetz. Und es gibt unverrückbare Grundsätze des Handelns. Tiere und Kinder werden nicht misshandelt. Das ist so ein Grundsatz.

Allerdings widersprechen die Handlungen und Aussagen der Mehrheit vielfach dem Bild von richtig und falsch. Somit kann auch eine falsche Handlung normal sein. Dies stürzt den nach Harmonie Trachtenden in Zweifel und leider sind nur wenige stark genug, sich der Norm zu widersetzen und trotz Gegensatz zur Gruppe richtig zu handeln.

Und doch ist es wichtig, der eigenen Wahrnehmung zu trauen und „normal“ von „richtig“ zu unterscheiden! Es besteht keinerlei Notwendigkeit zur Harmonie mit der Gruppe, wenn dies bedeutet, dass die Grundsätze von richtig und falsch der Norm geopfert werden. Auf demselben Altar werden nämlich auch Gelassenheit und Glück ausbluten und durch Zweifel und Unsicherheit ersetzt. Der angepasst Mensch ist normal, aber leer und darauf angewiesen, von der Gruppe aufgefüllt zu werden. Er fühlt sich falsch und handelt im Widerspruch zu sich selbst.

Das einzige, was hier helfen kann ist die Fähigkeit, zu differenzieren und wirklich selbst zu denken! Nur weil jeder wie ein aufgescheuchtes Huhn durch die Gegend rennt, ist ein Herzinfarkt mit Mitte 40 zwar normal, aber nicht richtig. Nicht jeder muss berühmt werden. Nicht jeder muss sich 50 Stunden die Woche auf Arbeit den Allerwertesten aufreißen. Es ist falsch, seine Frau und seine Kinder zu schlagen. Es ist falsch, dem Ehemann für die Erfüllung der eigenen Wünsche und Träume die Taschen zu leeren und ihn von seinen Träumen abzubringen. Es ist falsch, Kinder zu quälen mit starren Vorstellungen von elitären Supermenschen. Es ist falsch, hinter dem Rücken von anderen zu lästern und sich zu verbünden und Außenseiter zu malträtieren.

All dies ist normal. Aber dennoch ist es falsch. Vieles, was heutzutage leider normal geworden ist, ist falsch. Viele erkennen das, können aber normal von richtig nicht unterscheiden und verzweifeln an der Welt, wie sie ist und wohin sie sich entwickelt. Und aufgrund der Macht der Gruppe, fühlt sich jeder, der bemerkt, dass etwas faul im Staate Dänemark ist, allein. Allein und einsam. Und im Zweifel stimmt etwas mit ihm selbst nicht, denn die Gruppe ist schließlich normal.

Und hier liegt es. Die Gruppe ist tatsächlich normal. Aber nicht zwangsweise richtig. Da ist es notwendig, genau zu differenzieren und seinen zweiten und dritten Gedanken (siehe auch Terry Pratchetts Buchreihe um Tiffany Aching, dort sind die Gedanken hinter den Gedanken sehr gut dargestellt) zu vertrauen. Wichtig ist es, nicht blind der Mehrheit zu vertrauen. Das schlechte Gefühl wird schwinden, wenn das Bewusstsein den Unterschied zwischen normal und richtig und gut verinnerlicht hat.

 

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